Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Titel

Vereinigte Staaten in Heidelberg

Was Heidelberg und die USA verbindet

 

"Ich habe noch niemals eine Aussicht genossen, die einen so stillen und beglückenden Zauber besessen hätte wie diese." Dieses begeisterte - und in diesem Fall von Ironie freie - Urteil fällte kein Geringerer als Samuel Langhorne Clemens über Heidelberg, als er die Stadt vor 130 Jahren besuchte. Mark Twain, so das Pseudonym des berühmten Amerikaners, blieb fast drei Monate in der Stadt am Neckar und schrieb besonders beeindruckt über seinen Aufenthalt. Beschreibungen des Schlosses, der engen Altstadtgassen, der Heiliggeistkirche, der kurpfälzischen Umgebung und des studentischen Lebens in der Schilderung seiner Reise durch Europa "A Tramp Abroad" prägen bis heute das Bild vieler US-Amerikaner nicht nur von der Neckarstadt - sondern von ganz Deutschland.

Viele der Schauplätze von Twains Beschreibung zu Heidelberg existieren bis heute und dienen als Touristenattraktion: Im Studentenkarzer sind die Wände noch immer bis unter die Decke mit Graffiti der früher inhaftierten Studenten bedeckt, und auch das Hotel "Hirschgasse" gegenüber dem Schloss steht noch: Dort erlebte der Autor auf dem "Paukboden" die studentischen Duelle, die ihn so stark beeindruckten. Noch immer wirbt das Hotel im Internet mit Mark Twains Namen. Die Neugier amerikanischer Touristen auf die Stadt hält unvermindert an: Jahr für Jahr bilden sie die Besuchergruppe mit den meisten Übernachtungen in Heidelberg. Im Jahr der Fußballweltmeisterschaft, 2006 - das für den Tourismus in ganz Deutschland Zuwachs brachte -, verzeichnete der Heidelberger Verkehrsverein 108 755 Übernachtungen von Gästen aus den Vereinigten Staaten.

"Heidelberg ist viel bekannter in den USA, als die Stadt es verdient: Viele Amerikaner verbinden mit "Deutschland" Berlin, das Oktoberfest - und eben unsere Stadt", meint der Autor Steven Bloom, geboren in Brooklyn, New York. Bloom führt die Twain-Begeisterung auch darauf zurück, dass das Heidelberg-Kapitel von "A Tramp Abroad" in vielen Schulen der USA zur Pflichtlektüre gehört. Bloom kam nicht als Tourist nach Heidelberg, sondern begleitete seine Frau an den Neckar, die 1977 auf der Suche nach Engagements als Opernsängerin war. Der Schriftsteller hat sich in all den Jahren seine amerikanische Perspektive auf die Stadt bewahrt. Seit über einem Vierteljahrhundert leitet er am Heidelberger Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) Diskussionsgruppen zu Themen aus Kultur, Gesellschaft, Politik und Landeskunde der USA.

 

Das DAI hat seine Heimat in einer ehemaligen Professorenvilla zwischen Adenauer- und Bismarckplatz, mitten in Heidelberg. Bis in die 1980er Jahre firmierte es als Amerika-Haus, finanziert von den USA. Heute versteht sich das DAI als "Haus der Kultur". Man findet hier die einzige öffentliche englischsprachige Bibliothek im Rhein-Neckar-Raum, wo man auch Beratung zu Studium und Arbeit in den USA sowie Informationen zum Sprachtest TOEFL und Visa-Regelungen erhalten kann. Neben englischsprachigen Lesungen und Vorträgen finden in den Räumen aber auch zahlreiche Veranstaltungen mit deutschen Künstlern und Intellektuellen statt. Außerdem wird der Veranstaltungssaal immer wieder von studentischen Gruppen für Partys gemietet. Aus der Heidelberger Kulturszene ist das DAI kaum mehr wegzudenken.

Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum amerikanischen Heidelberg-Bild leiste, meint Steven Bloom, außerdem "The Student Prince" von Sigmund Romberg und Dorothy Agnes Donnelly. Die Operette wurde 1924 am New Yorker Broadway uraufgeführt und mehrfach verfilmt - zuerst als Stummfilm von Ernst Lubitsch. Der Song "Drink! Drink! Drink!" schallte kürzlich wieder häufig aus amerikanischen Fernsehern - als Hintergrundmelodie zu einem Werbespot für eine landesweit verkaufte Mineralwassermarke. In dem Kurzfilm ist zu sehen, wie Bierzeltbesucher große Maßkrüge schwenken, während eine Kapelle in Lederhosen das Lied aus dem "Student Prince" spielt. Das Stück gehört auch zum Programm der alljährlichen Schlossfestspiele. Allerdings nicht mehr in der Inszenierung im englischen Original, die von 1974 bis vor einigen Jahren gezeigt wurde: Seit 2006 ist die Operette mit deutschen Dialogen und englischen Songtexten zu sehen und zu hören. Operndirektor Bernd Feuchtner will, "dass auch die Heidelberger das Stück erleben: Früher haben manche den Studentenprinz geliebt, andere haben ihn gehasst, aber die wenigsten hatten ihn gesehen". Inzwischen scheint sich das zu ändern: Laut Feuchtner sitzen im Publikum mittlerweile nicht mehr hauptsächlich Amerikaner, sondern "Leute aus der Region". Die bestaunen dort das amerikanische Idealbild des Heidelberger Studentenlebens - und freuen sich über die Ablenkung vom doch manchmal nicht ganz so herzverlorenen Alltag.

Die amerikanischen Besucher von Steven Blooms Diskussionsrunden und dem DAI haben ein deutlich differenzierteres Bild von Deutschland und Heidelberg, als es in der Operette gezeigt wird. Die Mehrheit lebt zumindest für einige Monate, andere seit Jahren hier. "Unser Kreis ist für einige unserer amerikanischen Teilnehmer, die kaum deutsch sprechen, wie ein Zuhause", erklärt Steven Bloom. Die Themen seien beispielsweise "Die Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichen" oder "Kann man den Zeitungen vertrauen?", in den Video-Gesprächskreisen werden Filme wie Al Gores "Inconvenient Truth" oder Dokumentationen zum Vietnamkrieg angesehen und diskutiert - alles auf Englisch und mit Bezug auf die USA, versteht sich. Einen Stammtisch für die Teilnehmer gibt es auch: "Viele kommen wohl vor allem deshalb", glaubt Steven Bloom. Bei den Treffen sind auch viele Deutsche dabei, die auf ein flüssiges American English aus sind, sich allgemein für Amerika interessieren oder einfach Spaß am Diskutieren haben. Sie bringen die deutsche Perspektive in die Gespräche - so unterschiedlich die Motive und Altersgruppen der Teilnehmer auch sind: Da ist beispielsweise die Studentin Julia Neumann, die nach einem achtmonatigen Aufenthalt in Frankreich für ihr Anglistikstudium "unbedingt ihr Englisch aktivieren" möchte, oder Jutta Schabert, eine ältere Dame, die zwar erst seit fünf Wochen an der Diskussionsrunde teilnimmt, aber das DAI schon in den späten 1940er Jahren als Amerika-Haus kennenlernte, als sie als Flüchtling nach Heidelberg kam. In fließendem Englisch erzählt die ältere Dame, die am Institut für Dolmetschen und Übersetzen tätig war, begeistert, wie sie damals bei einem Wettbewerb zehn amerikanische Bücher gewann: "A treasure for me!"

 

Viele der amerikanischen Besucher des DAI sind Soldaten oder Zivilpersonal der US-Armee oder deren Angehörige. Es mag auch mit dem Bild der Amerikaner vom romantischen Heidelberg zu tun gehabt haben, dass die Stadt während des Krieges fast ganz von Bombardements verschont blieb. Die amerikanischen Truppen fanden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine Stadt mit nahezu unbeschädigter Infrastruktur vor - inklusive einiger unzerstörter Kasernen: Die frühere "Großdeutschland-Kaserne" wurde zu den "Campbell Barracks", die "Grenadier-Kaserne" nach dem General Patton benannt. Seitdem beherbergte die kleine Stadt einige der wichtigsten Hauptquartiere der amerikanischen Truppen in Europa. In über fünf Jahrzehnten lebten Zehntausende amerikanischer Militärangehöriger mit ihren Familien in Heidelberg. Lange Zeit war mindestens etwa jeder zehnte Heidelberger Einwohner amerikanischer Staatsbürger: bis zu etwa 20 000 an der Zahl. Heike Dießelberg vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Heidelberg schätzt, dass 2005 noch ungefähr 9000 Angehörige der US-Streitkräfte einschließlich Familien in Heidelberg lebten, und legt Wert auf die Betonung der guten Beziehungen zwischen der Stadt und den amerikanischen Streitkräften.

 

Die meisten Armeeangehörigen wohnen in eigenen Siedlungen, die nach dem Muster der amerikanischen "Gated Communities" nach den Anschlägen von 2001 eingezäunt wurden: im Mark-Twain-Village, gelegen bei den Campbell Barracks zwischen Heidelberger Südstadt und Rohrbach, und im Patrick-Henry-Village bei Kirchheim. Dort können die Bewohner unabhängig von den deutschen Ladenöffnungszeiten und deutschen Steuern einkaufen, amerikanische Fastfood-Ketten oder englischsprachige Gottesdienste besuchen. Nahe des Hauptbahnhofs gibt es ein größeres Einkaufszentrum mit Autohändlern amerikanischer Marken, und das Mark-Twain-Village besitzt eine Grundschule und die Heidelberg High School für die Kinder der amerikanischen Soldatinnen und Soldaten. Die Stadt Heidelberg geht davon aus, dass "die Ausgaben der Amerikaner im Heidelberger Einzelhandel dadurch deutlich geringer sein dürften als die der deutschen Einwohner, die im Durchschnitt 5000 Euro jährlich im Einzelhandel ausgeben", so Dießelberg. Dennoch ist die amerikanische Garnison für Heidelbergs Wirtschaft mit schätzungsweise 30 Millionen Euro Investitionen für Baumaßnahmen und Ähnliches sowie einem Umsatz von bis zu zehn Millionen Euro im Einzelhandel auch wirtschaftlich für Heidelberg von Bedeutung. Möglicherweise wird es in einigen Jahren noch deutlich weniger Einwohner mit amerikanischem Pass und Soldbuch in Heidelberg geben. Die Neuordnung der amerikanischen Armee vor dem Hintergrund der veränderten Weltlage und des damit verbunden Truppenabzugs aus Europa geht auch an Heidelberg nicht spurlos vorüber. Die Pläne betreffen zwei der wichtigsten Hauptquartiere. Die Überlegungen gehen bis zu einem vollständigen Abzug der Amerikaner aus Heidelberg. Wann das passieren soll, ist vollkommen offen: Neuerdings liest man immer öfter von einer Verschiebung der Maßnahmen bis etwa 2013. Da die Frage nach der Zukunft der Einheiten - die zu den wichtigsten der amerikanischen Streitkräfte in Europa gehören - nicht nur eine militärische, sondern auch eine politische Dimension hat, ist eine klare Aussage zur weiteren Entwicklung erst für die Zeit nach der US-Präsidentschaftswahl zu erwarten. Angaben zu Zeitablauf und Ausmaß der Veränderungen will die zuständige Pressestelle der amerikanischen Streitkräfte nicht machen.

 

Doch selbst wenn die Mehrheit der amerikanischen Soldaten aus Heidelberg abziehen sollte, eine weitere starke Verbindung zwischen Amerika und der Stadt bleibt erhalten: der wissenschaftliche Austausch. Heidelbergs Name wird in Amerika immer auch mit der Ruprecht-Karls-Universität als einer der ältesten Hochschulen nördlich der Alpen verbunden und steht für besondere Qualität von Lehre und Forschung. Um nur einige Beispiele zu nennen: Das American Junior Year ist Ausdruck der über 50-jährigen Kooperation der Ruperto Carola mit dem Heidelberg College in Tiffin, Ohio (s. unseren Beitrag auf S. 8). Mit Unterstützung der Max-Kade-Stiftung weihte das Studentenwerk Heidelberg 2003 das "Internationale Max Kade Haus" ein, in dem einige Zimmer für Studierende aus den USA reserviert sind. Im selben Jahr öffnete mit dem Heidelberg Center for American Studies (HCA) ein multidisziplinäres Institut seine Pforten, in dem die wissenschaftliche Kompetenz von sechs Fakultäten der Universität zum Thema Nordamerika in Lehre und Forschung gebündelt wird (s. nebenstehendes Interview mit Gründungsdirektor Detlef Junker). Das repräsentative "Curt und Heidemarie Engelhorn Palais", ein prächtiges barockes Stadthaus in der Hauptstraße, in dem das HCA zuhause ist, erhält derzeit einen modernen Anbau: beste Voraussetzungen für die Zukunft der amerikabezogenen Wissenschaft in Heidelberg und eine gute Basis für weiterhin enge freundschaftliche Beziehungen zwischen den USA und der Stadt am Neckar.

 

Gabriel A. Neumann

 

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Fragen oder Anregungen zu diesen Seiten: Philippe Bayer
Stand: 10. Juli 2008
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Nr. 20 / Sommer 2008
Titelseite Alumni Revue Sommer 2008
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